DE-ÖKO-039
„So kühle Jahre sind wie gemacht für Hohen-Sülzen.“ (H.O. Spanier) 95 Punkte – JAMES SUCKLING | 94 Punkte – PARKER
Das Hohen-Sülzener Kirchenstück ist eine Spitzenlage, die bereits vor dem Dreißigjährigen Krieg Erwähnung fand. Sie befindet sich im nördlichen Hohen- Sülzen, oberhalb der Sankt-Mauritius-Kirche. Anders als das berühmte Pfälzer Kirchenstück, ein Paradeweinberg unserer Freunde von Dr. Bürklin-Wolf und Von Winning, ist diese gleichnamige rheinhessische Lage unter den Großen Gewächsen vielleicht eher Kennern bekannt und noch so etwas wie ein Geheimtipp. Wahrscheinlich auch, weil es neben H.O. Spanier kein weiteres VDP-Zugpferd der Region gibt, das derart hohe Qualitäten aus dieser genialen Lage zaubert? Denn jedes Jahr sind wir verblüfft von der Grazie, die dieser Riesling ausstrahlt. Hier stehen die Reben auf einer weichen, kalkhaltigen Steinauflage, die eine gute Nährstoffversorgung hergibt, haben darunter aber auch einen kalkhaltigen Unterboden. Mit nur leichter Hangneigung von etwa 15%, die für eine gute Durchlüftung sorgt, bestehen hier ähnliche Bedingungen wie in besten Grand Cru-Lagen im Burgund. Auch ein Grund, warum Battenfeld-Spanier in diesem Gewann auch noch einen Spätburgunder erzeugt.
In seinem zweibändigen Opus „Die Welt als Wille und Vorstellung“ widmet sich Arthur Schopenhauer intensiv den Künsten, die ihm als Ausweg, als temporäre Loslösung des Menschen vom naturgegebenen Willen und deren Leiden dienen. Ein wunderschöner Abschnitt über die Grazie prägt unseren Gedanken vom Kirchenstück. Dort heißt es: „Die Grazie besteht, dem Gesagten zufolge, darin, daß jede Bewegung und Stellung auf die leichteste, angemessenste und bequemste Art ausgeführt werde und sonach der rein entsprechende Ausdruck ihrer Absicht, oder des Willensaktes sei, ohne Überflüssiges, was als zweckwidriges, bedeutungsloses Handtieren oder verdrehte Stellung, ohne Ermangelndes, was als hölzerne Steifheit sich darstellt. Die Grazie setzt ein richtiges Ebenmaaß aller Glieder, einen regelrechten, harmonischen Körperbau, als ihre Bedingung, voraus; da nur mittelst dieser die vollkommene Leichtigkeit und augenscheinliche Zweckmäßigkeit in allen Stellungen und Bewegungen möglich ist: also ist die Grazie nie ohne einen gewissen Grad der Schönheit des Körpers.“
2021: Beim Kirchenstück dreht sich alles um perfekte Proportionen und Grazie. Um diese im eher spätreifenden Jahrgang zu erhalten, bedurfte es eines echten Adlerauges. „Wir haben rund 12 Hektoliter pro Hektar weniger als in den Vorjahren geerntet und im Schnitt 6.000 Arbeitsstunden mehr im Weinberg bis zum Herbsten investiert. Und dann ging ja erst die Lese los!“ so H.O. über den aktuellen Jahrgang. Für ihn ist klar: „Der Schlüssel für die Zukunft ist manpower. Wer diese nicht flexibel im Wingert einsetzen kann, wird echte Probleme bekommen. Dies ist auch der Klimaveränderung geschuldet. Die Volatilität der Jahre ist einfach größer geworden.“ Allein das Bouquet des Kirchenstücks weiß zu begeistern. Es wirkt mysteriös mit seinen rauchigen Noten, die an Feuerstein erinnern, der im Hintergrund mitschwirrenden Hefe des Fassausbaus und einer leichten Eisenkrautnote. So kann auch Blanc-de-Blanc-Champagner riechen! Hans Oliver: „Für mich sind große Weine leise, elegant, extrem tief und mineralisch. Das liebe ich letztendlich.“ Mit dem Kirchenstück kann man sich reinversetzen in die Gedankenwelt von H.O., bei der sich letztendlich alles außerhalb der Fruchtzone bewegt. Auch am Gaumen liefern die im Schnitt über 35-jährigen Reben einen kalkigen und angenehm kargen Wein. Die Frucht erinnert an frisch gepressten Zitrusssaft, doch wird die Säure hier von der generösen Kalktextur regelrecht abgepuffert. „So kühle Jahre sind wie gemacht für Hohen-Sülzen. Diese Zartheit ist genau das, was ich suche.“
Dieses Großformat, welches im Stück- und Doppelstückfass ausgebaut wurde, hat immer etwas Poliertes an sich, wie feiner und hochglänzender Marmor. Ein Riesling, wie aus einem Guss, glasklar. Das schmeichelt geradezu in seiner Vollkommenheit und Balance, besitzt aber die meisterhafte Eigenschaft in all der Perfektion niemals ermüdend zu erscheinen. Der Kalkstein ergibt hier einen kräftigen Typ Riesling mit enormem Spannungsbogen. Dieses Große Gewächs hat ähnlich wie Klaus Peter Kellers Hubacker in den vergangenen Jahrgängen einen Wandel hin zu steigender Subtilität und Spannung durchlaufen. Das wirkt einfach wie aufgeräumt und entschlackt und besitzt die perfekten Proportionen.
Zu genießen ab Freigabe im Herbst 2022. Höhepunkt wohl ab 2025 bis 2048+.
Beste Voraussetzungen für Wonnegauer Riesling vom Kalk: die Hohen-Sülzener Lage Kirchenstück, die Basis für H. O. Spaniers fantastisches Großes Gewächs.