DE-ÖKO-039
„So expressiv wie sein Terroir“ (H.O. Spanier) 95 Punkte – JAMES SUCKLING
Ganze 11,32 Hektar des Ölberg sind als VDP-Große-Lage klassifiziert. Bei einer Hangneigung von 65 bis 120%! kann es einem ganz schön schwindlig werden. Wenn man hier erst einmal mehrere tausende Stunden im Jahr arbeitet, müssen einem die aufgerufenen Preise nach wie vor günstig erscheinen (im trockenen Jahrgang 2018 wurden alleine 8.000 Strohballen händisch im Roten Hang verteilt!) Die südlichste Lage des Portfolios aus dem Hause Kühling-Gillot im Roten Hang ist auch zugleich die in der Jugend charmanteste. Wie so viele grandiose Lagen, die seit Jahrhunderten für große Weine bekannt und berühmt sind, weist auch der Name Ölberg auf ein früheres Kloster und seinen biblischen Bezug hin. Dass die Weine aus dem Ölberg eine dichte Viskosität besitzen und der Anteil an ätherischen Ölen besonders hoch ist, hat die Namensgebung sicherlich unterstützt. Der Ölberg verläuft im zentralen Bereich des Roten Hanges in Ost-West-Richtung als weit auslaufende Hauptlage und hat als einzige der Roten- Hang-Lagen volle Südexposition. Der Gesteinsboden ist stark zerklüftet, was die Weinbergarbeit ebenso mühsam macht wie die Steigung. Während im Rothenberg und Pettenthal die Felsbänder bis an die Oberfläche treten, ist der Boden im Ölberg poröser und durchlässiger. Der rote Tonschiefer wurde in den Jahrmillionen aufgerieben, zärtlich zerbröselt er heute unter den Händen, wenn er gerieben wird, und er hat damit über die Zeitenläufe quasi die Humusschicht ersetzt!
„Wir sehen die Dinge nicht so, wie sie sind, sondern so, wie wir sind.“ lautet ein gerne zitierter Sinnspruch (der wahlweise der Schriftstellerin Anaïs Nin, Immanuel Kant oder dem Talmud zugeschrieben wird), der sich auch leicht auf Caroline und Hans Oliver übertragen lässt, wenn man sich vor Augen hält, welches Potenzial vor allem ein fast schon im Übermaß optimistischer, dabei hellsichtiger Hans Oliver schon früh im „Hügelland“ Rheinhessen, dessen Weinbau sich damals – ein Opfer des Weinskandals und Preisverfalls – am Boden befand (H.O.: „Rheinhessen neu zu denken, das ging nur mit einer Radikalkur.“), zu erkennen glaubte bzw. was für eine „Ein“Sicht das Paar in diese Landschaft hatten. Beides hat die nicht nur (inter)nationale Wahrnehmung der Weinbauregion Rheinhessen nachhaltig verändert.
Seit drei Jahrzehnten schreibt das power couple nun schon die Geschichte Rheinhessens neu, mehrte nicht nur das Ansehen der Region, sondern sorgte dafür, dass auch andere Betriebe ihren „Platz an der Sonne“ fanden. Weil H.O. um die Güte der Böden Bescheid wusste, investierte er all seine Kräfte in die Rekultivierung der vor Jahr und Tag einmal sehr angesehenen Lagen. Die einst von umstehenden Winzern belächelte Umstellung auf biodynamische Bewirtschaftung ermöglichte es erst, das Potenzial dieses Fleckchens Erde völlig zu erschließen. Heute ziehen die beiden „Leuchtturm-Betriebe¶“ die ganze Region mit und ermöglichen faire Preise für eine Vielzahl von Kollegen. Oberste Priorität für H. O. Spanier hatte auch im Jahrgang 2021 die Weinbergarbeit: Im Vergleich zum Vorjahr waren es ganze 6.000 Stunden mehr! Diesmal stand weniger dry farming – wie Caroline u.a. das Ausbringen von Stroh im Weinberg bezeichnet um die Feuchtigkeit in den Weinbergen zu halten – an, dafür umso mehr Pflanzenschutz und Laubarbeit. Das Ergebnis ist ein Großes Gewächs mit gewohnt zenartiger Ausstrahlung. Ein höchst ausbalancierter und profilstarker Riesling. Er duftet würzig nach getrockneten Blüten, Sternfrucht und gelbem Tee. Am Gaumen wirkt er stoffig, verlangt geradezu nach Belüftung in der Karaffe. Die feine Rotschieferreduktion hallt stets im Hintergrund nach, während am Gaumen erneut getrocknete Blüten eine fruchtfreie Zone einnehmen. Ein Terroirwein, dessen mineralische Würze des Rotliegenden einen Klassiker hervorbringt, der durch Ausgewogenheit und Eleganz besticht, dabei herrlich ausladend auf den Gaumen trifft. Doch bei aller Kraft und Konzentration wirkt dieser Gentleman niemals laut oder aufdringlich, denn hier entfaltet diese Kombination einen subtil verführerischen Sog. Daher läge man mit der Behauptung, dass dieses Riesling-GG durchaus etwas für Liebhaber burgundisch balancierter Weine sei, völlig richtig. Und für alle, die exzellenten Riesling mit starkem Charakter lieben, ist das ohnehin der Wein der Wahl!
Trinkreif ab Freigabe im Herbst 2022, Höhepunkt wohl ab 2026 bis 2038+.
Das Riesling-GG vom Ölberg stammt aus dem Roten Hang in Nierstein. Es wird wie alle Weine des VDP-Weinguts Kühling-Gillot von H. O. Spanier vinifiziert.