Ein wahrhaft großer und hochlebendiger Châteauneuf-du-Pape!
98/100 – Jeb Dunnuck
97/100 – Parker Wine Advocate
Ein unwahrscheinlich heißer Tag: hebt man auf einem Spaziergang (unvernünftig, aber die Neugier mag uns nicht loslassen) durch die Reben nahe des Städtchens Châteauneuf-du-Pape einen jener „galets roulés“, einen handtellergerechten Kiesel vom Boden auf – und man möchte das fingerverbrühende Stück sofort wieder fallenlassen –; ja dann bekommt man die wahrscheinlich wichtigste Lektion darüber, warum diese AOC so grandiose Weine hervorbringt: unter dem Kiesel scheint der magere Boden feucht! Ein kleiner, dunkler Fleck Feuchte – und das bei 40°C im Schatten. Betrachten wir uns die Rebstöcke nahe unserer Entdeckung: alle Gobelets (zu Kelchen erzogene Pflanzen) scheinen sich wundersam wohlzufühlen. Da herrscht kein Eindruck von Durst. Vielmehr sehen diese Kelche oftmals so aus, wie Hände, die bereit sind, von Himmeln gesandten Segen aufzufangen. Und Segen ist bezogen auf dieses Terroir wichtigstes Thema. Da ist zum ersten der Segen, der dem Papst Clemens V. zuteilwurde: Er hatte sich vor den Intrigen Roms 1309 in Sicherheit bringen müssen, sein Leben war in Gefahr und Avignon wurde nun sein Amtssitz. Die Weine, die sein Hof aus Châteauneuf bezog, waren von so vorzüglicher Qualität, dass er in seiner Neugier den Ort immer wieder besuchte. Sein Nachfolger Johannes XXII. hatte sogar das große Glück, dass der Ort zu päpstlichem Besitz wurde (vormals gehörte er noch dem Bischof). Segen über Segen also. Auch für die Bewohner war die Situation von Vorteil: die Stadt bekam ein großes Schloß, die Sicherheit von Einkünften nahm zu, vorausgesetzt der Wein erfüllte die Erwartungen. Anfang des 20. Jahrhunderts, lange nachdem die Päpste die Region verlassen hatten, der große Ruf des Weines verloren war; da kam ein neuer Segen daher. Die Erinnerungen an jene Jahre waren nicht verloren. Die Winzer, die größtenteils Mittelprächtiges erzeugten, wollten mehr. Einer Eingebung folgend, beschlossen sie, sich selbst Regeln zur Erzeugung von Wein aufzuerlegen. Diese Regeln wurden aus den Erfahrungswerten ihrer herausragenden Vertreter zusammengestellt: die erste AOC war geboren und wurde zum Erfolg (der Rest Frankreichs kopierte das Konzept recht flott). Inmitten dieses Geschehens: die Familie Avril, die seit Jahrhunderten dort Wein machte und, weil sie mit dem Niedergang der Qualitäten höchst unzufrieden waren, sich selbstverständlich an der Schaffung des neuen Reglements beteiligten.
Das heutige Oberhaupt dieses mittlerweile legendären Weingutes Clos des Papes, Paul-Vincent Avril hatte sein Handwerk im Burgund erlernt, bevor er in den 1980ern die Leitung übernahm. Wie viele Winzer, die dort ausgebildet wurden, hat auch er die burgundische Lehre eingesogen: Ein Wein wächst, er wird nicht gemacht! An den Ausdruck von Terroir wird niemals Hand angelegt. Holz soll dem Wein dienen, nicht ihm etwas beifügen. Finesse und Eleganz sind die Maximen.
Aus 24 Parzellen (verteilt über das gesamte Gebiet der AOC) mit insgesamt 32 Hektar Fläche stammen die Trauben für diesen Châteauneuf-du-Pape rouge 2022 (55 % Grenache, 30 % Mourvèdre, 10 % Syrah und zusammen 5 % von Counoise, Vaccarèse, Muscardin, Cinsault). An der Weinwerdung – ein Segen für sich! – ist so ziemlich alles selbstverständlich: Der strengen Selektion (in der Region „tris“ genannt) im Weinberg folgt das Entrappen. Nach spontan einsetzender Gärung verbleibt der Wein teilweise (je nach Parzelle) mehrere Wochen auf der Maische. Die Reifung erfolgt (12 bis 18 Monate) freilich in Fudern. Avril hält nichts von Schönung oder Filtration, deshalb wird direkt abgefüllt. Schlichtheit in Vollendung! Selbst das Etikett spart an Information. Clos des Papes hat seit 2011 ein Bio-Zertifikat. Auf der Flasche finden wir aber keinen Hinweis darauf: auch der naturnahe Weinbau ist für Avril einfach nur selbstverständlich.
Verneigung ist alles, was uns beim ersten Kontakt mit diesem Giganten einfällt – vielleicht eine Reverenz mit Blick zum Boden, dem Kiesel, der unter sich das ganze Mysterium dieses Terroirs verborgen hielt? Wir schätzen das sachte Granatrot, die leichte Bräune, eine Vorahnung von Rubinherz bei Bewegung und der Jugend geschuldet: eine winzige Trübung. Das Bouquet öffnet sich erst sehr langsam – ein wahrer Foliant von Aromenkatalog mit einer störrischen Schließe. Ein paar Augenblicke später werden uns die Prinzipien von wahrer Weingröße mal wieder so richtig vor Nasen geführt: Du suchst etwas? Hier hast du es! In steter Veränderung der Intensitäten treten Früchte (Pflaume, schwarze und rote Kirsche, Granatapfel, Cassis, Heidelbeere, Erdbeere, Olive, Brombeere, Orange) und Gewürznoten (Kakao, Ginster, Baumrinde, Graphit, Pilznoten, Waldboden, Tabak, Weihrauch, Karamell, Kaffee, Zeder, Teer, nasser Stein, Gummi, Asche, Pfeffer, Rosmarin, getrocknete Rosen, Lavendel, Flieder, Walnuss, Heu, Paprika, Zwieback) auf. Die Reserven scheinen unerschöpflich. Am Gaumen dann die Magie: Die Frische scheint keine Ermüdung zu kennen. Dass ein Wein mit so einem universenhaften Bouquet einfach keine Schwere annehmen möchte, dass diese 15,5 Vol.-% Alkohol und die Süße einfach nur schweben ist schon umwerfend – Unter dem Kiesel, der Lebensquell. Ein Segen!
Ab sofort bis mindestens 2043+.
Die unerschöpflichen Reserven an Ausdruck und Frische des roten Châteauneuf-du-Pape von Clos des Papes ist 2022 wieder ein wahrer Segen.