Benchmark-Barolo – und schon so wunderbar zugänglich!
Über was lohnt es sich bei Genuss dieses Riesen unter Italiens Weinen nachzudenken? Antwort: über alles, was seine Größe auch nur im entferntesten Ausmachen könnte – und die Zeit dazu gibt Giacosas Barolo DOC rosso generös. Wir könnten uns sein Terroir ansehen, damit verstehen lernen, dass Italien zu Recht Barolo und speziell Falletto bei Serralunga d’Alba als eine Grand-Cru-Lage anerkennt. Wir könnten in Gedanken Bruno Giacosa begleiten, wie er in seiner Jugend sich dieses Piemont erschloss. Wie er seinem Vater beim Einkauf von Trauben zur Seite stand, aus allen Lagen Beeren probierte, ihre Eigenarten kennen und schließlich alle voneinander zu unterscheiden lernte – eine leider nicht festgehaltene Kartierung all’ dieses Wissens musste sich in den Tiefen von Brunos Gehirn gebildet haben; der Wunsch, ganz bestimmte Lagen zu besitzen, musste entstanden sein. Wir können uns über die geschichtlichen Eigenarten des Piemont auslassen, eine Provinz, die, wenn auch für kurze Zeit einmal zu Frankreich gehörte. Wir können somit den Einfluss französischer Weinkultur in unserem Glas nachvollziehen. Die Geschichte hielte noch weitere spannende Fakten für uns bereit: dass es zum Beispiel (dem Burgund nicht unähnlich) dort üblich war, dass Bauern die Reben pflegten, die Weinbereitung aber Einkäufer übernahmen. Nur wenig Trauben blieben den Winzern also selbst zur Vergärung und deren Methoden waren immer schlicht und teure Fässer aus französischer Eiche waren finanziell allen Beteiligten außer Reichweite. Und wir können schließlich über den „bisticcio“ (den „Zoff“) nachdenken, der sich bei den Erfolgen des Barolo ab den 1960er-Jahren unweigerlich einstellen musste. Der in Italien übliche Streit zwischen Traditionalisten und Modernisten, der uns aus dem Chianti und aus der Brunello-Region so gut bekannt ist, wurde selbstverständlich auch im Piemont geführt (und der stärkere Einfluss Frankreichs erhitzte den Streit wohl noch). Hier können wir in unseren Gedanken dann leicht wieder zu Bruno Giacosa zurückkehren und seine Haltung im Widerstreit der Tendenzen kennenlernen. Wie viel Verständnis musste er wohl für die Anliegen der Neuerer gehabt haben. Das machtvolle Tannin des Nebbiolo ein wenig zu bändigen, scheint ein durchaus vernünftiger Entschluss, aber sollte eine knappere Mazerationszeit und der unmäßige Einsatz neuer französischer Eiche der richtige Weg sein? Ginge dem Barolo nicht eine Grundeigenschaft verloren, wenn mit der Erweichung der Gerbstoffe sich auch die klare Frucht verlöre? Der Traditionalist Giacosa behielt die lange Maischestandzeit bei. Sie musste wohl in seinem Idealbild eine zu große Rolle gespielt haben. Ein kurzer Exkurs: In den Jahren, als die Einkäufer noch die Weine bereiteten, war es bei den Weinbauern üblich nach der Lese der eigenen Trauben, diese für zwei Wochen sich selbst zu überlassen, während man die anderen Feldfrüchte aberntete. Diese Maischestandzeit war also aus Notwendigkeit entstanden und die kräftigen Tannine, die ausgeprägte Frucht waren nun eben einmal so. Der Barolo fand auch so seine geduldigen Liebhaber, die ihn wegzulegen gewöhnt waren, auf seine Eleganz und Finesse gerne warten wollten.
Viele Gedanken könnten wir uns auch darüber machen, wie Giacosa nach langer Suche im Falletto seinen Grand Cru gefunden hatte, und welche Methode der Weinbereitung er dann anwenden sollte. Er selbst hielt sich immer sehr zurück, gab selten und nur wenig Auskunft. Seine Tochter, die seit seinem Tod 2018 das Weingut führt, ist nur wenig auskunftsfreudiger. Wir erfahren, dass nur wenig neues Holz eingesetzt wird und immer nur sogenannte Botti (500 Liter) aus ungetoasteter französischer Eiche. Die Trauben kommen nach der Lese in große Stahlbehälter, die über eine schonende Rührmechanik verfügen (so kann wohl die Maischestandzeit ein wenig verringert werden, Farbe und Frucht, Tannine der Schalen gehen in Lösung, ohne dass Kerne und Stiele allzu viel abgeben können). Meist sollen die Weine spontan gären dürfen – wenn dies einmal nicht möglich ist, wird auf eine Hefe zurückgegriffen, die die Universität Turin gezüchtet hat (auch hier bleibt man dem Terroir so nahe wie irgend möglich!). Auch hielt er wohl wenig von einer zu langen Fassreife, gab seinen Weinen lieber noch einige Zeit länger auf der Flasche.
Oder wir könnten doch alle Überlegungen einstellen und uns in diesen von Giacosa liebevoll als seinen „Classico“ bezeichneten Giganten fallen lassen, überrascht sein von seiner hellen Farbe, diesem Rubin, der durch zartbraune Schimmer so herrlich hindurch strahlt. Wie dann im Bouquet und auf der Zunge einfach alles da zu sein scheint – alles an seinem Platz, als ob das Falletto seit Jahrhunderten der Frucht (Sauerkirsche, getrocknete Erdbeere, Pflaume, Cassis, Himbeere, Brombeere), der Würze (Rose, Herbstlaub, Leder, Erde, Teer, Gummi, Graphit, Weihrauch, Vanille, Kakao, Zeder, Trüffel, Zimt, Minze, Pfeffer, Erdnuss, Tomatenlaub, gedörrte Feige), den Tanninen, der austarierten Säure diesen einen festen Platz zugewiesen hat, wohlerprobt und selbstverständlich. Finesse und Ausdruck werden sich sicher noch weiten, die jetzt schon magische Balance wird legendär. Und Geschichte, Erzeugerbiografie, Anekdotisches werden schließlich zu einem begnadeten Ganzen.
Ideal wohl ab 2028 bis mindestens 2052.
Aus der Grand-Cru-Lage Falletto: Giacosas Barolo des Jahrgangs 2020 ist ein sinnliches Spektakel. Seit Ewigkeiten – für die Ewigkeit!