AT-BIO-402
Der Kräutersammler vom Korallengrund. 95 Punkte – FALSTAFF
Die Lage Zieregg gehört untrennbar zum Weingut, das Stefan und Armin Tement heute in der Südsteiermark führen. Doch der Grassnitzberg ist nicht minder ausdrucksstark. Vor allem läutete er als erster Weingarten, den der Gründer Josef Tement in den 1950er-Jahren bepflanzt hat, die Geschichte des bekannten Betriebs erst ein. Es war eine clevere Wahl, wie sich heute zeigt: Die Paratethys, das Ur-Meer vor 16 Millionen Jahren, hat hier die Korallenkalk-Bänke aufgetürmt, auf deren Verwitterungsmaterial nun der Morillon alias Chardonnay der Tements gedeiht. Die relativ hohe Kessellage, die bis auf 420 Meter Höhe mit Reben bepflanzt ist, bekommt viel Sonne durch die Exposition nach Süden und Südosten. Doch die Nächte sind kühl in diesem Teil der Steiermark und lassen die Weine ebenfalls elegant werden. Seit einigen Jahren wird diese würzig-mineralische Art noch klarer herausgearbeitet. Die kühle Riede lässt die Trauben der mittlerweile 35 Jahre alten Stöcke zudem sehr spät reifen, was auch den moderaten Alkohol dieses Lagenweins erklärt. Mit einem 24-monatigen Ausbau auf der Feinhefe verleiht die Tements diesem Weißwein auch im Keller eine hohe Eigenständigkeit.
Gekonnt wird hier die aktuell so moderne Reduktion umgesetzt. Denn der Morillon riecht nicht nach Schießpulver, sondern wirklich nach Steinen. Zumindest so lange, bis das Orchester der Gewürze loslegt und ein Crescendo von Piment, Sauerklee, Asant und getrockneter Zitronenschale an die Nase bringt. Das alles signalisiert die pure Struktur, keinerlei aufdringliche Frucht! Voller Leben ist der „Grassnitzberg“ von 2020 auch am Gaumen. Gut, dass es in der Steiermark Morillon heißt und nicht Chardonnay. Denn mit den Allerweltsexemplaren dieser über alle Terroirs weltweit geschundenen Rebsorte hat Tements Wein nichts gemeinsam. Kühl und voll mineralischem Leben – man darf das bei diesen intensiven Gaumeneindrücken gerne wiederholen – zeigt sich der Mix aus Kräutern und säuriger Ananas. Sie wird mit der Zeit wohl deutlicher der Passionsfrucht dieses Weißweins den Vortritt lassen. Vor allem im Finale, das engmaschig, ewig lang und animierend ausfällt, zeigt sich die Klasse des Morillons. Denn hier bietet sich dem Kenner jetzt schon raffinierte Vielschichtigkeit, die große Zeit des „Grassnitzbergs“ kommt aber erst mit einigen Jahren Flaschenreife.
Ab sofort bis 2036.
Unglaublich vitaler Morillon, der den Korallenkalk in mineralisch-rauchigen Genuss verwandelt. Zitrusfruchtigfrischer Grassnitzberg mit viel Schmelz.