„Fino is probably the single greatest white wine of Spain!“ – Peter Sisseck
Liebe Kunden, wenn Sie dachten, dass Burgund, das dortige Terroir, die verschiedenen Lagen, die climats und Weine selbst für ambitionierte Laien nur schwer zu durchschauen seien und einem veritablen Dschungel ähnelten, dann sei hier gleich Folgendes vorangestellt: Verglichen mit dem sogenannten „Marco de Jerez“ ist das Burgund ein Bällebad für weinaffine Menschen! Die Geschichte der Weine aus Jerez ist lang und enorm komplex, die häufig hilfreiche Einteilung in „klassische“ und „moderne“ Weine greift hier noch viel weniger als in anderen berühmten, historisch bedeutenden Appellationen dieser Welt. Und das Gebiet um die Städte Jerez de la Frontera, Sanlúcar de Barrameda und El Puerto de Santa María gehört zweifelsfrei zu den nicht nur historisch wertvollsten Weinregionen der Welt.
AUF SPURENSUCHE
Als ich meine ersten beruflichen Schritte im Weinbusiness unternahm, war von Sherry selten die Rede, das „verstaubte Relikt“ nie wirklich Thema. Aber gerade in jener Zeit wurden in Spanien viele neue Appellationen aus der Taufe gehoben, alte wiederentdeckt und die jeweiligen Weine rund um den Globus getragen. Doch um einen der ersten, einen jahrhundertealten spanischen Exportschlager blieb es weiterhin vergleichsweise still. Und auch mein Interesse an den Weinen aus dem „Marco de Jerez“ wurde erst durch Abfüllungen wie etwa die von Equipo Navazos gegen Ende der 2000er wieder allmählich geweckt. Einige intensive Reisen in die Region zeigten auch ihre Wirkung, was dann aber folgte, war ein echtes Aha-Erlebnis: Fran López, ein junger spanischer Sommelier der zur Spitze seiner Zunft zählt und aussieht, als wäre er der vierte Mann der legendären Rockband ZZ Top, reichte mir auf einer Weinmesse in Spanien im Vorübergehen einen mir bis dato fremden Wein. Hell yeah!, um in der Sprache der rockeros zu bleiben!
WIE VOM BLITZ GETROFFEN
Was um Himmels Willen steckt hinter diesem Wein namens „La Barajuela“? Fran erinnert sich auch noch Jahre später an diesen Moment, meine „positive Schockstarre“ (wie er mir jüngst bestätigte). Für Sherry durchaus sensibilisiert und durchaus etwas mit den dortigen Gewächsen vertraut, war mein first contact mit Bodegas Luis Pérez tatsächlich sowas wie ein Zusammentreffen mit einem Wesen aus einer fernen Galaxie. Alle mir bekannten Referenzwerte schienen pulverisiert. Was hatte ich verpasst, warum waren mir solche Weine nicht früher aufgefallen? „Alles und Nichts“ lautete Frans verschmitzte Antwort. Einen Satz den ich damals Tag nicht verstand, der die Weine von Luis Pérez jedoch dechiffriert. Aber der Reihe nach.
DER BEGINN MEINES ABENTEUERS
Die Geschichte der Familie Pérez ist eng mit der des andalusischen Weins verflochten, sie kann auf mehrere Generationen von Weinbauern, Winzern und Önologen zurückblicken. Luis Pérez, Namensgeber und patrón der Bodega, war lange Zeit Chef-Önologe des Traditionshauses Domecq und Professor für Önologie an der Universität von Cádiz bevor er sich 2002 in das Abenteuer eines eigenen Weinguts stürzte. In den ersten Jahren konzentrierte er sich auf die Hacienda Vistahermosa und die umliegenden pagos Corchuelo und Balbaína. Corchuelo, eine historisch weniger bedeutsame Lage, nutzte er für Experimente mit Syrah, Merlot und Petit Verdot. Balbaína war schon immer ein Hort der autochthonen Rebsorte Tintilla de Rota. Vor Jahren in Andalusien noch schwer im Hintertreffen (als Graciano macht sie in der Rioja seit einiger Zeit von sich reden), gilt sie heute wieder als rote Edelsorte der Region um Cádiz, nicht zuletzt dank experimentierfreudiger Wiederentdecker wie etwa Luis Pérez. Er wollte beweisen, dass sich dieses Terroir sehr wohl auch für die Produktion anspruchsvoller trockener Rotweine eignet.
AUSGERECHNET AUSTRALIEN
„Alles wurde schon in Jerez gemacht“ erklärt mir Luis „Willy“ Pérez junior und heute das Gesicht und die Triebfeder der Bodega in Personalunion. „Schaumweine, Rotweine, Brandies, Süßweine, Olorosos, trockene Weine mit und ohne Flor, Weine mit Botrytis, Spätlesen … – einfach alles war schon einmal da“ wiederholt Willy. Um mehr über den Umgang mit Syrah (Shiraz) zu erfahren zog es Willy gemeinsam mit seinem Freund und Kommilitonen Ramiro Ibañez auf den fünften Kontinent. Down under und so weit weg von zu Hause wie nur möglich, wollten die beiden jungen Männer neue Erfahrungen und Wissen sammeln, dabei bewusst auf Abstand zu ihrer Heimat gehen. Paradoxerweise fühlten sich Willy und Ramiro in Australien ihrer Heimat näher als je zuvor, ihr Verständnis für das weit entfernte Terroir des „Marco de Jerez“ wuchs von Tag zu Tag.
ELEKTRISIERENDE LITERATUR
Ein Buch aus dem Jahr 1834 wirkte bei Willy dann wie die nächste Zündstufe einer Rakete. James Busby, Vater des australischen Weins, schreibt in „Journal of a recent visit to the principal vineyards of Spain and France“ über seine Begegnung mit Pedro Domecq. Von Domecq, mit dem er sich schnell anfreundet, erhält er ungemein detaillierte Auskünfte über die Cru-Lage „El Majuelo“ im pago Macharnudo. Ausführliche Beschreibung der Bodentypen, Informationen zum Rebschnitt, Fermentationen und sogar wie oft Domecq „El Majuelo“ belieh, um weitere Rebflächen kaufen zu können – das alles notiert Busby minutiös. Um Willy, der Sherry bis dahin eher als „distilled liquor“ denn als individuellen Weinstil verstanden hatte, war es geschehen: Jerez und Sherry wie bei Busby von Pedro Domecq beschrieben, mussten wiederbelebt werden! Unter dem Namen „La Barajuela“ sollten fortan eine Reihe ungespriteter Vintage-Sherrys entstehen, bei denen Herkunft vor Ausbau, Terroir vor Keller steht. Denn die criaderas und soleras, der „ewige Kreislauf“ des Sherrys, die (wenn man so will) auch stilistische Standardisierung und Homogenisierung dieser Weine, etablierte sich erst in den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts.
AD FONTES!
Schon Willys Vater Luis prägte den Satz „Jerez muss zurück in den Weinberg“, den Willy ab 2013 tatendurstig weiter konkretisierte. Die Familie erwarb die historische Finca El Corregidor, ehemals in Besitz von Sandemann. Ein absoluter Glückfall, den El Corregidor liegt inmitten des weltbekannten pago Carrascal, der neben Macharnudo (dort besitzt Luis Pérez weitere Flächen) seit Jahrhunderten als absolute Spitzenlage gilt. Insgesamt 300 Hektar Rebfläche umfasst El Carrascal, 60 davon nennt Bodegas Luis Pérez ihr Eigen. Mit den besten Parzellen des „Marco de Jerez“ und dem Wissen um die große Historie der albariza-Böden (jener grellweißen, im Sonnenlicht fast schmerzhaft gleißenden Weinberge) unternahm Willy Pérez seine Expedition in die Vergangenheit. Was mich vor ein paar Jahren als „Avantgarde“ im Messeflur ad hoc zutiefst beeindruckt hatte, war schlicht der Weg zum Ursprung, zu den Quellen.
DER BOTSCHAFTER
Willy ist mittlerweile nicht nur Wortführer und Gesicht von Bodegas Luis Pérez, sondern maßgeblich wie auch sein Freund Ramiro Ibáñez an der Renaissance im „Marco de Jerez“ beteiligt. Gemeinsam arbeiten beide an dem bis dato wohl detailliertesten und (er)kenntnisreichsten Buch, das bisher über die Geschichte der Weine dieser Region verfasst wurde. Willy spricht sehr gerne, ausführlich und über die Maßen fundiert über die Weinbauhistorie seiner Heimat. Er kennt jede Parzelle im Sherry-Dreieck, kann mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks jeden Vorbesitzer nennen und weiß ganz genau von wem dort welcher Wein wann gemacht wurde und warum. Über sich selbst spricht er weniger, überlässt das seinen Weinen, die in ihrer Andersartigkeit und Individualität – qualitativ sowieso – herausragend sind.
DIE PERFEKTE REZEPTUR
Willy Pérez macht wenig bis nichts von dem, woran man landläufig Sherrys festmacht. Weder verstärkt er seine Weine, noch durchlaufen die Barajuelas eine Solera. Seine Sherrys sind reine Lagenweine aus den historischen „Grand Crus“ der Region, sozusagen der Status quo ante zum „klassischen“ Sherry. Dazu passend dreht sich bei Bodegas Luis Pérez alles – selbstverständlich! – um reine Handarbeit nach ökologischen und nachhaltigen Gesichtspunkten. Die Weinlese innerhalb der Lage El Carrascal dauerte 2017 beispielsweise stolze 50 Tage lang, 14 Lesedurchgänge und 140 Hände (oder 70 Personen) waren notwendig! Hier wird ein enormer Aufwand betrieben, um besagte Weine aus dem frühen 19. Jahrhundert wiederauferstehen zu lassen. Um diesen auch ohne encabezado (das Aufspriten) mehr punch zu verleihen, nutzt Willy das uralte asoleo-Verfahren, bei dem vollreif gelesene Trauben über Stunden oder Tage in der Sonne getrocknet werden. Willy steuert das ganz präzise, je nach Wein und den Anforderungen des Jahrgangs und den daraus resultierenden Bedürfnissen. Ebenso individuell spielt Willy mit der Florreife. Der Ausbau im Keller darf nie den Ausdruck des Terroirs dominieren. In kühlen Jahren lässt Willy daher den Florhefen weniger Raum in den dann sehr weit gefüllten botas. In wärmeren Jahren ist der Einfluss der flor (eine Hefeschicht, die, wie der Name schon sagt, auf dem Wein schwimmend „aufblüht“) wichtiger, sie bekommt dann mehr Raum, denn von ihr verspricht sich der Weinmacher einen erfrischenden Einfluss. Apropos Frische – diese akzentuiert Willy gekonnt, indem er seine Weine nicht schwefelt und punktuell zielgenau mit acidez volátil (flüchtiger Säure) spielt.
SCHERE, STEIN, PAPIER
Wie bitte? Die Frage stellte ich mir auch. Als ich dachte endlich eine Idee von „Fino“, „Amontillado“, „Oloroso“, „Palo Cortado“ und „Jerezano“ zu haben, stand ich plötzlich ich bei Bodegas Luis Pérez vor Begriffen wie „Palma“, „Palma Cortada“ und „Raya“, sollte lernen und verstehen in welchem Kontext diese zu den mir geläufigen „klassischen“ Sherry-Vokabeln stehen. Langsam steige ich hinter diese Begriffe und entwickle ein Verständnis für die Weine, die diese Bezeichnungen tragen. Aber jener Moment, als mir Fran – übrigens im Beisein von Willy – zum ersten Mal einen „Barajuela“ unter die Nase hielt, wird für mich unvergesslich bleiben. Ganz unverhofft wurde mir – damals, wie schon erwähnt, völlig unvorbereitet – ein flüssiges Juwel präsentiert. Da die Weine der Bodegas Luis Pérez nicht nur ausgesprochen besonders, sondern zudem noch extrem rar sind, kann ich jedem weinaffinen Nerd nur dringend zu einem aktiven, gründlichen und vertiefenden Selbststudium raten. Will sagen: Hier geht probieren tatsächlich über studieren!