Die Kunst der Balance: Maestro Müller und der feinherbe Weinstil
Der weit verbreitete Begriff „feinherb“ wurde vor gut einem Vierteljahrhundert keine zehn Kilometer Luftlinie von der Heimat dieses Weines erfunden: Annegret Reh-Gartner, die inzwischen verstorbene Chefin des Traditionshauses Reichsgraf von Kesselstatt in Morscheid, fand die bis dahin übliche Bezeichnung „halbtrocken“ irreführend und setzte gegen viele Widerstände das Adjektiv „feinherb“ durch. Freilich erklärt sich auch diese Wortschöpfung nicht von selbst. Der emsigen Winzerin schwebten Weine vor, die eine gute Balance zwischen Frucht und Säure aufweisen und von der Restsüße her eher im unteren Bereich der Geschmacksrichtung halbtrocken angesiedelt sind. Nicht ganz wie dieser saftige, golden schimmernde Gutsriesling also, der mit seinen 24 Gramm Restzucker zwar etwas süßer ist, dessen pikante, zitrusfrische Säure aber ein Abdriften vom Feinherben ins Feinsüße oder gar Liebliche gekonnt verhindert. In der Nase pochierte Birne, mit Lorbeerblättern und Gewürznelken in duftendem Birnensirup eingelegt, dazu eine Spur Limettenabrieb, leicht kräuterige Noten, am Gaumen wieder Limette und herbe Nuancen von unreifer Quitte, die einen willkommenen Kontrapunkt zur angenehm cremigen Textur setzen. Stefan Müller erweist sich mit diesem überaus trinkigen, nicht allzu komplexen Sommerwein einmal mehr als Meister der feinherben Stilistik – als jemand, der die Balance zwischen herben Aromen und zarter, aber nie dominanter Fruchtsüße zu halten versteht. Ein wahres Trinkanimationsprogramm aus der Hand eines Könners, noch dazu aus der Region, in der die Idee zu diesem Weinstil einst geboren wurde.
Ab sofort und bis 2030.
Der Riesling feinherb 2023 von Stefan Müller ist ein trinkiger Sommerwein, der die Balance zwischen herben Aromen und zarter Fruchtsüße zu halten versteht.