Stefan Müller
Niedermenniger Sonnenberg „Alte Reben“ Riesling, feinherb 2023

Alte Reben sind eben Routiniers im Erzeugen großer Rieslinge …

Das Bild alter Reben, die sich für Dekaden in die Tiefe des Gesteins kämpfen mussten, die beinahe magiebegabt erscheinen und in der Lage sein sollen, tiefste Essenzen aus dem Boden zu ziehen – dieses Bild wird unweigerlich in das Reich der Fabeln zurückgeschickt, wenn der kühle Pragmatismus der Winzer, die sich ihrer bedienen, offenbar wird. Ja, die Alten wurzeln tief! In der Tiefe allerdings wird die Pflanze das, was sie braucht, nur in geringen Dosen finden. Nährstoffe holen sich auch diese Routiniers unter den Reben in den oberen Schichten, ja sogar in direkter Nähe der Oberfläche – da haben sie es einfacher. Erträge von Weinstöcken nehmen mit den Jahren sehr deutlich ab und die Pflanze betreibt quasi schon in Eigenregie eine Selektion, die nicht immer den Vorstellungen der Winzer entspricht. So werden vielerorts alte durch junge Pflanzen ersetzt. Die Magie verliert ihre Rolle. Stefan Müller ist dagegen glücklicherweise im Besitz von Parzellen mit teilweise sogar wurzelechten Rebstöcken, die genau das zu liefern vermögen, was er sich vorstellt. Seine „Alten Reben“ auf dem Niedermenniger Sonnenberg teilen offenbar seine Vorstellungen davon, wie diese Essenz der Tiefe auszusehen hat.

Die Essenz ist im Falle des Jahrgangs 2023 zart Gelb mit deutlichem Grünanteil und verhält sich anfangs eher zurückhaltend. Auf frisch gemähter Wiese machen wir ein paar Blütentöne aus. Bienenwachs, sehr sanfter Flint und ein Hauch von Petrol bereiten den Auftritt von süßer Frucht behutsam vor. Apfel, üppige Mandarine, Birne, Pfirsich, Ananas werden langsam wach und wenn der Riesling anfängt, zu atmen wird die Frucht schließlich richtig kraftvoll. Die 29 Gramm Restzucker erleben wir perfekt eingefangen in Säure; jedwede Herbheit, alle Hindernisse auf dem Weg zum zweiten, größeren Schluck fehlen. Das zweite Glas ist schon in Planung. Die Alten haben es wie so viele Jahrgänge zuvor wieder geschafft. Die Lust wächst.

Es gibt nur einen Grund, diesen feinen Riesling nicht sofort zu trinken: Mit Reife wird er noch besser! Zwei Dekaden meistert er souverän.