Da bleiben keine Fragen offen: hochlebendig gibt „Juvenia“ Auskunft
Eigentlich sollte es uns ja nicht mehr so verwundern, aber immer, wenn wir derart Lebhaftes in unseren Gläsern vorfinden, von Charakter und Ausdrucksstärke eines Weines wieder einmal so überrascht werden, wie Antoniolos „Juvenia“ von 2022 das hier vermag, dann stellen sich Fragen: Wie schaffen die das nur? Was ist das Geheimrezept? Ist’s Zauberei? Schwenken da etwa Alchemisten die Retorten? Wir lesen „Nebbiolo“ auf dem Etikett dieses DOC Coste della Sesia und erinnern uns zuerst an die großen Weine des Barolo und Barbaresco, die eben jene Rebsorte (hier im Alto Piemonte „Spanna“ genannt) hervorbringt, an deren Majestät und Schwere. Und wir erinnern uns an die Tricks und Kniffe, die uns abverlangt werden, um diese Granden aufzuschließen. Wie viele Jahre muss man da manchmal warten, bis so ein Riese aus dem Schlaf erwacht, in den ihn Anbautechnik und Vinifikation geschickt zu haben scheinen. Hier ist ein Riese sofort wach und beredt. Er hatte nur kurze Wege hinter sich: seine Trauben waren 12 bis 15 Tage in Betonwannen zu Mazeration und Gärung, durften etwa ein Jahr im Edelstahl und sechs Monate in der Flasche reifen. Seine Reben haben ihre Wurzeln in verwittertem Vulkangestein und Lehm (aus den Lagen Borelle und Valferana) mit etwas Eisenanteil. Lorella und Alberto Antoniolo haben zwischen den Rebstöcken natürlichen Bewuchs in Frieden gelassen, bei Bedarf etwas Kompost gegeben und etwaige Pflanzenkrankheiten eben nur präzise bekämpft. So mussten wohl schon hochlebendige Trauben im Keller einfach nur sich selbst überlassen werden – das fing schon von alleine an zu gären, die Bakterien für den biologischen Säureabbau waren auch schon vorhanden… (Kling zu sorglos? Im Piemont waren bis weit ins zwanzigste Jahrhundert Mischbetriebe üblich. Wein sich selbst zu überlassen, war notwendig – die anderen Feldfrüchte waren schließlich auch reif und mussten abgeerntet werden. Da konnte ein Bauer nicht ständig in den Keller an irgendwelche Stellschrauben eilen.) Und dann ziehen wir den Korken und es beginnt zu duften, bevor wir die Flasche auch nur in Glasnähe bringen können. Aus dem zartbraunen Granatrot im Glas stürmt uns Frucht (Kirschen, Granatapfel, Pflaume, Cassis, Orangenzeste, Erdbeeren, Himbeeren) und ein üppiger Blumenstrauß (Rosenhain, Hibiskus) entgegen. Würzwelten (Leder, Pfeffer, Kampfer, Lakritze, Tabak, Kakao) öffnen sich willig. Großartige Bewegung des Glases ist völlig unnötig – alles kommt ganz von allein. „Juvenia“ hat keine Geheimnisse vor uns – wie schön, oder? Am Gaumen das Ganze nochmal von vorn, nur ohne Sturm und Drang: Säure, Süße, Tannin fließen wie ein Gebirgsbächlein um unsere Zunge. Die Kühle ist etwa die, die wir nach einem ewigen, heißen Sommertag ersehnen – nur hier braucht es kein lärmendes Gewitter, keine Sturzbäche, keine Haltlosigkeiten. Die Eleganz dieses Piemontesers schenkt uns Ruhe und Frieden, die mit dieser Abkühlung einhergehen und wir vergessen unsere Fragen.
Ab sofort bis mindestens 2035+.
Die hochlebendige Eleganz am Gaumen des „Juvenia“ von Antoniolo erzählt auch 2022 vom schönen Leben des Nebbiolos in der DOC Coste della Sesia. Traumhaft