Supertoskanisches „Kirschfeuerwerk“ mit elegantem Nachhall. 92 Punkte – VINOUS
Richtig los ging es mit dem Weingut Riecine, von dem sich erste Erwähnungen schon in klösterlichen Aufzeichnungen von 1112 finden, im Jahre 1971, als der mittlerweile verstorbene britische Weinenthusiast John Dunkley beschloss, in den wunderschönen Hügeln oberhalb von Gaiole Chianti der Spitzenklasse zu produzieren. Das gelang ihm schon mit seinem ersten Jahrgang, den er sieben Jahre nach dem Kauf der Weingärten, die einst zur Badia da Coltibuono gehörten, auf den Markt brachte. 1991 kam der Önologe Sean O’Callaghan an Bord, ein Brite, dessen Eltern Teeplantagen in Sri Lanka betrieben, wo er auch aufwuchs. Schon als Teenager begeisterte er sich, dank des Hobby-Weingartens seines Onkels, für das Thema Wein, was ihn nach Geisenheim zum Studium der Önologie und unter anderem zum Weingut Diel führte, bevor es ihn dann in die Toskana verschlug. Er lenkte die Geschicke von Riecine als Kellermeister (und Miteigentümer) bis 2016 und brachte das Weingut in dieser Zeit auf Weltniveau. Sein puristischer Stil, seine Ideen von biologischer Produktion und das unbedingte Qualitätsstreben sind dem Weingut bis heute nicht abhandengekommen. Nach 26 Jahren entschied sich „Il Guerico“, so der Spitzname von O’Callaghan, was so viel bedeutet wie „einäugiger Halunke“ (geschuldet einer Sehbehinderung auf dem rechten Auge), neue Wege zu gehen. Heute betreibt er, noch immer in der Toskana mit dem Österreicher Karl Egger die „Tenuta di Carleone“, bei welchem der Flaggschiff-Wein natürlich „Il Guerico“ heißt.
Heute gehört das Weingut Riecine der Investorin Lana Frank, die offensichtlich in höchstem Maße Wert darauflegt, dass die kleine azienda weiterhin Weine allerhöchster Qualität produziert, was dem heute verantwortlichen Direktor Alessandro Campatelli und seinem Team mindestens so gut gelingt wie zuvor dem legendären O’Callaghan. „La Gioia“ ist dafür ein perfektes Beispiel. Erstmals 1982 produziert, wachsen die Trauben bis heute auf biodynamisch bewirtschafteten (und bereits bio-zertifizierten) Kalkstein- und Lehmböden in einer Höhe von 450 bis 500 Metern. Sowohl im Weinberg als auch auf einem vibrierenden Sortiertisch durchlaufen sie einen strengen Auswahlprozess – so kommen nur die besten Trauben in diesen Rosso. Die Gärung erfolgt in Nomblot-Zementtanks, die Mazeration dauert 15 bis 20 Tage. Der Wein reift dann zwei volle Jahre in neuen Tonneau-Fässern und mindestens weitere sechs Monate auf der Flasche. So kommt es, dass hier wahrlich drin ist, was in heiter verschlungener Schreibschrift draufsteht: die reine Freude.
Im Glas funkelt der Wein dann in einem leuchtend dunklen Rubinrot und lockt schon beim Einschenken mit einem unfassbar kirschigen Bouquet. In der Nase findet man alles an Aromen, was die Kirsche zu bieten hat, von säuerlicher Schattenmorelle bis süßer Schwarzkirsche mit einem Hauch Kirschwasser. Am Gaumen verzaubert die unfassbar angenehme Frische mit einer sehr angenehmen Säure. Man ist versucht, an eine „torta foresta nera“ zu denken, aber der Wein wird nie zu breit, zu schokoladig oder zu viel. Die fruchtige Balance ist meisterlich. Zu der Vielfalt der Kirscharomen gesellen sich noch Felsenbirne, Wald- und Blaubeeren. Wunderschön auch die Veilchennote, die über Eukalyptus, Waldboden und Pilzaromen zu schweben scheint, weil herrlich komplex, dabei ganz ohne anstrengend zu werden. Leicht gekühlt wird die reife Schattenmorelle geradezu mehrdimensional riech- und schmeckbar: ein Traum von einem Sangiovese!
Der Wein dürfte seinen Höhepunkt etwa 2028 erreichen und sich bis 2041 weiterentwickeln.
Riecines „La Gioia“ von 2020 ist ein Sangiovese mit gut eingebundener Säure und feiner Würze, der mehr auf Eleganz als auf Fülle ausgerichtet ist