Klassizistischer geht es nicht: Ricasoli ist einfach die Spitze!
97/100 – James Suckling
95/100 – Robert Parker Wine Advocate
Knapp eineinhalb Jahrhunderte nachdem Bettino Ricasoli, der in der Fachliteratur als Vater des Chianti gepriesen wird, seine Forschungen betrieb, Vinifikationsleitlinien schrieb und sich auf die Suche machte, eben jenen Chianti zu finden, der sich auf den Tafeln der Weinliebhaber in aller Welt behaupten sollte; diese lange Zeit später können wir einfach nur eine Flasche dieser Gran Selezione von 2021 aus dem Chianti Classico namens „Castello di Brolio“ entkorken, unsere Nase darüber halten und alles, aber auch wirklich alles, was dort im Weinbau seitdem passiert ist, wahrnehmen. Hier weht uns das Lüften dieses „Mantels der Geschichte“ nicht die stehende Luft marmorner Historie in die Nüstern, sondern unzählige Stationen von Wandel und Fortschritt, von Entdeckungen und von Verirrungen – kurz, das Leben selbst zieht vor uns auf. Nachdem Francesco Ricasoli Anfang der 90er das Weingut seiner Familie zurückerwarb – er selbst ein gelernter Fotograf – musste er sich, ähnlich wie sein großer Vorfahre in das Chianti, den Weinbau einarbeiten. Er fing sofort an zu forschen. Diese verflixt anstrengend zu kultivierende Rebsorte Sangiovese: die Frostanfälligkeit des Frühblühers, die Feuchtigkeitsempfindlichkeit der dünnschaligen Beeren, welche Pflanzdichte in welcher Erziehung auf welcher Lage? Auf hunderte solcher Fragen musste der Baron seine Antworten finden. Wie Bettino hatte auch Francesco ein gesundes Modernitätsverständnis. Was auch immer an Wissen über sein Metier verfügbar war, wurde genutzt. Wenn wir heute Schluck für Schluck die Selbstverständlichkeit dieser Gran Selezione zu spüren meinen, täuscht jener Eindruck massiv über alle Arbeit dahinter hinweg. Sangiovese beizukommen ist für Winzer echt eine Herkulesaufgabe: Selbst wenn die Rebstöcke (Francesco hat den hier verwendeten Klon Sangiovese di Brolio erst finden und dann komplett neu anpflanzen müssen!) in idealer Dichte auf ihren jeweiligen Böden das perfekte Maß von Ertrag brachten, bleibt die Arbeit im Keller. Die Farbe des Sangioveses entwickelt sich im wässrigen Most sehr langsam. Erst der Alkohol hilft hilft bei der Extraktion als Lösungsmittel. Die strenge Temperaturkontrolle (24 bsi 27 °C) ermöglicht die kräftige Farbe bei nur 14 bis 16 Tagen Gärung. Das Bewegen des Tresterhutes tut ein Übriges. Neue Eiche, gar getoastet, überwältigt die Aromen der Sorte leicht (deshalb kommen nur zu 30% neue 500-Liter-Fässer zum Einsatz!). Holz kann dann die Lücke im mittleren Spiel am Gaumen wunderbar strukturieren. Es ist also möglich jedes Jahr einen Chianti Classico vollständig aus Sangiovese zu machen und wir können diese Beweisführung in unseren Gläsern schlicht genießen.
Würze (Zeder, Sandelholz, Haselnuss, Muskat, Rauch, Rose, Asche, Nelke, Tabak, Kakao, Erde, Pfeffer, Lakritze, Fenchel, Wacholder) und Frucht (Rote Kirsche, Erdbeere, rote Pflaume, Him- und Brombeere im Verbund) lassen sich noch recht viel Zeit, bis sie das typisch-reiche Bouquet eines großen Chiantis bilden. Der „Castello di Brolio“ hat vor allem Zeit. Wir haben ihn hier schließlich etwas zu früh geweckt. Sein Süße-Säureverbund ist aber schon nach kurzem Lüften voll lebendig. Während das Tannin sich unter diesem Verbund langsam ausbreitet und mit der Alkoholwärme ein Gefühl der Ruhe vermittelt, fängt die klassische Sangiovese-Säure an zu leuchten, gibt der Frucht (nicht über ein gewisses Maß hinaus!) Auftrieb. Den Abgang – man möchte das hier am liebsten einen Schreit-Tanz nennen – können wir getrost als ewig bezeichnen. Wir werden noch viele Jahre später an diese Schlucke denken können, das Vermächtnis der Familie Ricasoli, die Gloriole des Chiantis.
Ab sofort bis mindestens 2040+.
Ricasolis Aushängeschild, der „Castello di Brolio“, ein Chianti Classico Gran Selezione von 2021, ist ohne Übertreibung die Gloriole des Chiantis.