Wenn Sangiovese alles bekommt, was er braucht, wird es eine Legende!
98 Punkte – Falstaff
96+ Punkte – Jeb Dunnuck
96 Punkte – James Suckling
95 Punkte – Robert Parker Wine Advocate
93+ Punkte – Vinous
1993, kurz nach dem er das Weingut von seinem Vater und Gründer des Weingutes übernommen hatte, konnte Giacomo Neri das erste Mal Trauben auf der völlig neu angelegten „Tenuta Nuova“ lesen. Diese Lage bei Cetine war die erste, die die Neris im Süden des Brunello-Gebietes erwerben konnten und für sie aus besonderen Gründen äußerst reizvoll: Das Mikroklima dort brachte, ungewöhnlich für Montalcino, eine maritime Flora hervor und besitzt neben Galestro (ein der Sorte Sangiovese sehr zuträglicher Lehmboden) auch perfekte Hangausrichtung. Nur die Besessensten unter den Brunello-Winzern konnten leisten, was auf den schlichten Landkauf folgte: Alle, aber wirklich alle Parameter (welche Klone verwenden wir? Was ist die beste Rebunterlage? Welche Anbaupraktiken passen hier? Welche Pflanzdichte ist hier optimal?) wurden berücksichtigt und dann wissenschaftlich penibel ausgearbeitet. Seltsamerweise ist aber genau dieser Neuanbau mit derlei Detailversessenheit selbst völlig mit der Tradition des Brunello zu erklären. Als Clemente Santi in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Montalcino zog, tat er, freilich nach den Möglichkeiten seiner Zeit, ebenfalls alles, um diese verflixte Brunello-Rebe (offiziell „Sangiovese Grosso“) optimal anzubauen. Die vielen Niedergänge des Brunello (nach Phylloxera, zwei Weltkriegen, einer Weltwirtschaftskrise etc.) hatten in der Folge ebenfalls die Neuanfänger (und es gab gottlob immer wieder welche!) vor dieselben Fragen gestellt. Das wohldurchdachte Experiment ist also, könnte man sagen, selbst die Tradition. Und anders kommt man mit Sangiovese auch nicht oft zu einem großen Rotwein. Diese in Italien am weitesten verbreitete Rebsorte ist so anspruchsvoll, dass fast nur im experimentierfreudigen Montalcino mit seinen optimalen Anbaubedingungen wirklich exzellente Ergebnisse erzielt werden. Das Klima, die Hangneigungen und Böden haben hier nachweisbar – alle großen Güter halten zum Zeugnis darüber Schätze von alten Jahrgängen in ihren Kellern – über die Jahrzehnte selbst in kritischen Umständen ihren Zauber entfalten können.
Wenn Sangiovese also am richtigen Ort zur vollen Reife gelangt, sagt das aber noch lange nicht, dass daraus dann so einfach ein prachtvoller, großer Italiener wird, wie sich das Giovanni Neri bei seiner Gutsgründung 1971 vorgenommen hatte. Was bei Lese und im Keller für Entscheidungen getroffen werden, ist im selben Maße wichtig. Immer die alten Riservas in den Kellern der alten, weltbekannten Brunello-Häuser im Hinterkopf, gilt es, wie eben diese, das Beste aus dem Rebgut herauszuholen, diesen sortenreinen Wein so zu machen, dass „Sangiovese“ immer der erste Gedanke ist, den ein Verkoster denkt und den er für lange Zeit nicht mehr loswird. Wie macht man das? Im Falle des Brunello di Montalcino „Tenuta Nuova“ von 2018 wurden die Trauben im September von Hand gelesen und selektiert. Nach dem vorsichtigen Entrappen wurden die einzelnen Beeren noch einmal von einem optischen Sensor nachselektiert (ein weiteres, inzwischen als geglückt geltendes Experiment, diese Technik wird weithin genutzt). Die Spontangärung (eine Tradition in Montalcino, die trotz Experimenten mit Reinzuchthefen in der Vergangenheit, immer noch als optimal gilt) und die 24 Tage währende Mazeration in konischen Stahlbottichen holten dann alles an Farbe, Aroma und Tannin aus den Beeren heraus. Die klassische Säure des Sangiovese wurde zu keinem Zeitpunkt angetastet und etwa biologisch abgebaut (auch hier geschahen vielerorts Experimente, die aber teils erschütternd-rückgratlose Weine hervorbrachten). In großen Eichenholzfässern reifte der „Tenuta Nuova“ für 30 Monate und durfte dann noch 18 Monate wohlbewahrt im Keller der Neris in der Flasche verbringen, was ihm eigentlich den Beinamen „Riserva“ verleihen dürfte – aus welchen Gründen die Neris wohl darauf verzichten?
Diese Vinifikationsverfahren voller Traditionen und selbstverständlicher Techniken hat dann auch diese Farbe geschaffen: Das ins Granat tendierende Rubinrot, welches unter Denkmalschutz gestellt gehört (keine Spur von Allerweltsviolett!), leuchtet bei der geringsten Bewegung auf – ein Licht, das die großen Brunelli der Vergangenheit in den Kellern der Welt ausstrahlen wird hier weitergetragen. Aus dem Glas (der Wein hatte etwa zwei Stunden in der Karaffe) purzeln schon jetzt die Aromen, wie durch eine spaltweit geöffnete Tür, die dem Druck nachgebend aufschwingt. Die Liste der Düfte ist, wie bei großen Brunelli eben üblich, recht lang und, der Wucht geschuldet, schwer zu gruppieren: Kirsche in Rot und Schwarz, Erdbeere, Ceylon-Tee, Erde, Waldboden, Rosenblüte, frische Morcheln, Graphit, Holzkohle, balsamisch und petrolig wirkender Oregano, Tabak, Kakao, Zeder, Muskat, Piment, Lorbeer, Wacholder, Ingwer, Nelke, Zimt, Pflaume, Garanatapfel. Keine Sorge! Die Liste mag lang sein, aber man kann ja einen ganzen Abend mit diesem Brunello verbringen. Langweilig wird es niemals, versprochen! Kein Aroma überdeckt ein anderes und schon gar keine Barriquenote (ein Weinjournalist beschimpfte mal einen Brunello der die tipicità verloren hatte als ein in Branntwein marinierten Holzscheit) maskiert diesen immer frisch duftenden Riesen. Am Gaumen dann diese bezaubernde Einfachheit: Das schon fast voll entwickelte Tannin, das in seiner Qualität an einen früh geernteten Assam erinnert, lässt die Säure in aller Breite strahlen. Keine Säurespitze kitzelt unangenehm im Vordergrund. Die vollständige Aromenwelt wird zur vollen Geltung gerahmt und auf die richtige Höhe gehängt. Ein Gigant der schon in diesem Jahr alle Barrikaden der Unreife fallen gelassen hat.
Ideal ab wohl 2025 (vorher unbedingt belüften, 12 Stunden sind nicht zu viel) bis gut 2050+.
Ab jetzt schon Legende: Casanova di Neris Brunello di Montalcino „Tenuta Nuova“ von 2018 ist ein wahrer Gigant!